WAS IST EIN CODE?
Für Jurgen Ostarhild
Beginnen wir mit Lacan: die Realität ist nicht das Reale! Sie ist Realität, weil sie das Reale von sich subtrahiert. Heißt das, dass das Reale die realere Realität ist? Was ist Realität? Was ist das Reale? Im Lacanschen Dispositiv ist die Realität das gedimmte Reale, das sich ihr widersetzt. Zugleich lenkt es sie wie ein Algorithmus. Früher hieß der Algorithmus Gott.
Gott nannte man – manche tun es weiterhin – das Subjekt, das den Plan hat. Ein Subjekt, das weiß. Gott ist tot,heißt – da sind nichts als Algorithmen, die keinem Metasubjekt unterstellt sind. Eine Multiplizität von Handlungsanweisungen und Handlungsoptionen, die den Intersubjektivitätsraum wie den Interobjektivitätsraum kontrollieren. Das ist die Realität, gelenkt vom Realen, das keinen Platz in ihr hat.
Wie die platonische Sonne ist das Reale unsichtbar im Raum der von ihr erzeugten Visibilität. Eine Dialektik von Sichtbarem und Unsichtbarem also: eine Gespensterdialektik von Präsenz und Absenz. Evidenz und Inevidenz.
Die Sichtbarmachung des Codes folgt dieser Dialektik. Sie beißt sich am toten Gott die Zähne aus. Der Code ist der tote Gott. Heiner Müller sagt einmal: „Die Abwesenheit Gottes ist seine Macht.“ Er beschreibt damit die Macht des Codes, der in der Unsichtbarkeit verbleibt.
Es handelt sich um eine mathematische Ontotheologie, die sich nicht mehr zwischen 1 und 0 entscheiden will. Die Macht der 0 ist die Macht des Nichts, das in Heideggers Denken mit dem Sein koinzidiert. Die ontologische Differenz besagt: Das Sein ist kein Seiendes. Es ist von der Ordnung der 0. Das Seiende ist, was ist. Es konstituiert in seiner Multiplizität den Raum der 1 = die Realität.
Der Code, der tote Gott, die Sonne, das Sein, das Nichts, das Reale markieren die selbst unmögliche Bedingung der Möglichkeit von Realität. Unter ihrem Einfluss kommt der Wirklichkeitsraum nicht zur Ruhe. Die 0 lässt die 1 erzittern. Die Differenz zwischen Realem und Realität muss in einem zweiten Denkschritt aufgehoben werden. Nachdem eine Trennlinie zwischen 0 und 1, Sein und Seiendem, Realem und Realität gezogen wurde, muss sie aufgehoben oder zumindest in ihrer Unentscheidbarkeit anerkannt werden.
Dies gilt es zu denken: Die Realität ist das Reale! Die 1 ist die 0. Das Seiende ist das Sein. Der Konsistenzraum hat seine Wahrheit in der ontologischen Inkonsistenz, die ihn kontrolliert. Realer als die Realität – das einzig Reale an ihr – ist das Nichts, das sie lenkt.
Prof. Dr. Marcus Steinweg